Weder See noch Land…
Bei mir im Bücherregal steht der Begleit-Katalog zu einer Ausstellung im Landesmuseum Oldenburg. Der Titel hatte für mich immer schon einen besonderen Klang: „Weder See noch Land… Moore. Eine verlorene Landschaft“. Denn Moore fand ich immer schon faszinierend und ein bisschen gruselig natürlich. Damit bin ich wirklich nicht alleine.1 Denn natürlich atmet das Gedicht „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff genau die gleichen Gefühle über diese „verlorene Landschaft“: Weglosigkeit, Unberechenbarkeit, Nebel und Grusel. Zu ihrer Zeit, Anfang des 19. Jahrhunderts, konnte man im Moor tatsächlich noch verloren gehen.
- Unheimliche Landschaft Moor.
- Wie für Gruselgeschichten gemacht.
- Merkwürdige Baum-Gestalten an dunklen Wasserlöchern.
- Oder doch nur wunderschöne Natur?
Heute sind von den ursprünglich riesigen Moorlandschaften nur noch geringe Reste übrig. Ein Großteil wurde bis spätestens Mitte des vorigen Jahrhunderts mit riesigem Aufwand trockengelegt und in Nutzflächen umgewandelt. Ein Blick auf die damaligen Maßnahmen zeigt, wie sehr das Moor als „Gegner“ gesehen wurde. Kilometerlange Grabensysteme leiteten das Wasser ab. Mit gigantischen Pflügen wurde der feuchte, torfige Boden bis auf den geologischen Untergrund umgepflügt. Nur, damit von diesem „Un-Land“ nichts mehr übrig blieb.2
Wer heute ein Moor in Nordeutschland besucht findet in der Regel zunächst einmal endlose, flache Wiesenlandschaften vor, die von Kanälen durchzogen und mit abgelegenen, kleinen Dörfern besiedelt sind. Hier und da gibt es noch den einen oder anderen Teich, der auf die sehr nasse Vergangenheit hinweist. All das sind die Resultate der Moorkultivierung der 19. und 20. Jahrhunderts. Über 80 % der natürlichen Torfmoore sind zerstört worden.
- Torfabbau in einem Moor in Niedersachsen.
- Lange Zeit wurde Torfabbau als der einzige Nutzen von Mooren angesehen.
- Abgetorfte Moore sind heute oft Naturschutzgebiete.
Inzwischen erkennen wir mehr und mehr, dass selbst ein Moor in seinem ursprünglichen Zustand einen Nutzen hat, auch wenn er nicht direkt erkennbar ist. Als Lebensraum sind sie von Pflanzen und Tieren besiedelt, die kaum irgendwo anders vorkommen. Diese Landschaften sind als natürlicher Speicher für Wasser und als CO2-Speicher kaum zu schlagen. Und als Schauplatz für Gruselgeschichten auch nicht: „Der Hund von Baskerville“, „Die Elfe vom Veitner Moor“3 und diverse Edgar-Wallace-Filme wären ohne Moorlandschaft kaum denkbar.
Für Archäologen sind Fundstellen in Mooren wie ein Sechser im Lotto. Durch die feuchten (bis nassen) Bodenbedingungen ist besonders die Erhaltung von organischem Material in vielen Fällen hervorragend. Moore wurden schon im Altertum als besondere und auch religiöse Orte wahrgenommen (eben „weder Meer noch Land“). Und so sind Opferplätze in Sümpfen und Mooren sind aus vielen Ländern in Nordwesteuropa. bekannt. Die Funde daraus sind reichhaltig und vom Thema Moorleichen möchte ich hier gar nicht erst anfangen.
Berühmt ist das Thorsberger Moor am Rand von Süderbrarup in Schleswig-Holstein. Daraus sind nicht nur Schmuck und Waffenfunde bekannt, sondern auch einige Kleidungsstücke, die dort vor etwa 2000 Jahren wohl als Votiv- oder Opfergaben versenkt wurden. Eine Hose, ein einfacher Kittel und ein prachtvoller Rechteckmantel können heutigen Germanen-Reenactern die Freudentränen in die Augen treiben.
Sehr bekannt sind auch die Holzfiguren, die am Rand oder in diesen Orten aufgestellt wurden. Einige sind riesengroße Götterstatuen, nur aus langen Astgabeln bestehen. Fast möchte man dabei meinen, dass möglichst wenig verändert werden sollte und doch ein Anschein von Menschenähnlichkeit geschaffen werden sollte. Es gibt aber auch eher naturalistische Darstellungen. Andere machen heute fast den Eindruck von Verkehrsschildern (die Brett-Idole aus dem Wittemoor meine ich natürlich, pardon). Trotzdem scheinen viele dieser Figuren Paare darzustellen, es gibt also jeweils eine männliche und eine weibliche Figur.
Für solche Opferplätze brauchte es damals offenbar keine riesigen Feuchtlandschaften. Ein relativ kleiner, verlandeter Teich tat es genauso. Auch das Thorsberger Moor ist nicht so besonders groß. Der Opferplatz von Soest- Ardey oder das Opfermoor von Niederdorla in Thüringen4 sind aus heutiger Sicht auch nicht besonders spektakulär. Aber sie reichten damals aus, um ein „Moor-Feeling“ zu begründen.
Ganz und gar unzugänglich waren Moore früher aber doch nicht. Durch die Jahrtausende hindurch wurden Bohlenwege angelegt, um diese durchgangsfeindlichen Gebiete etwas zugänglicher zu machen. Ich habe früher nie ganz begriffen, dass diese Wege quasi „schwimmend “ angelegt wurden. Als Kind dachte ich immer, dass dafür meterlange Holzpfosten bis in den festen Untergrund getrieben worden waren. Das kam zwar auch vor, aber in vielen Fällen waren diese Wege im Grunde schwimmende Ponton-Brücken über den Torf.
- Sümpfe und Moore können weglos sein. Besonders bei Nässe, wenn die Sonne mal nicht so schön scheint.
- Bohlenwege sind auch heute noch Wege durch’s Moor (hier im Venner Moor bei Münster).
- Auch hier eine moderne Rekonstruktion eines Bohlenwegs.
- Aber mit den Wittemoor-Figuren daneben wirkt es gleich ganz anders.
Kleine naturbelassene oder naturnahe Moor-Reste gibt es noch hier und da. Doch am Nordrand der Mittelgebirgszone ist bei Lübbecke ein durchaus eindrucksvolles Moorgebiet erhalten, das „Große Torfmoor“. Heute steht es unter Naturschutz. Ich war durch eine Doku im Fernsehen darauf aufmerksam geworden und habe es mir letztens einmal angesehen. Das Wetter war nicht besonders passend für einen solchen Ausflug (warm und sonnig), aber zumindest etwas geregnet hat es am Ende doch noch.
- Der Weg führt ins Moor.
- Das Große Torfmoor bei Lübbecke.
- Eine urtümliche Landschaft…
- … direkt nordlich des Wiehengebirges.
- Heute steht es ebenfalls unter Naturschutz.
- Und ist unbedingt einen Besuch wert.
Vielleicht muss ich einfach nochmal hinfahren, wenn das Wetter schlechter ist. Ein Ausflug lohnt sich auf jeden Fall. Bei Nebel, zum Beispiel wär’s „schaurig übers Moor zu gehen“.
1 Nebenbei, die Ausstellung ist dort in Oldenburg offenbar immer noch zu sehen.
2 Im Emsland Moormuseum wird das sehr anschaulich gezeigt.
3 von Katja Angenent: Die Elfe vom Veitner Moor. Ein DSA-Roman. Mir hat er gefallen.
4 Auch hier gibt es ein sehenswertes Museum (mit der treffenden Webadresse www.opfermoor.de).
Und für die Stimmung hier nochmal das ganze Gedicht von Annette von Droste Hülshoff:
Der Knabe im Moor
O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind –
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nickt die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor’,
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran, nur immer im Lauf,
Voran als woll’ es ihn holen;
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigermann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervoraus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth;
,,Ho, ho, meine arme Seele!’’
Der Knabe springt wie ein wundes Reh,
Wär’ nicht Schutzengel in der Näh’,
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick;
Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,
O schaurig wars in der Heide!